Blog: Das Schweine-Projekt - Anfang und Ende

Tamar Baumgarten

Freie Journalistin

Eine Schweinenase ist warm und fest. Sie drückt sich sanft gegen meinen Handrücken, und spätestens jetzt habe ich mein Herz verloren. Ich stehe im Stall des Hofes Vockfey und betrachte die Ferkel, die Frank und Andrea hier großziehen. Die Muttersau sieht ein bisschen benommen aus, Frank sagt, sie hat bald keine Lust mehr zu säugen. Kein Wunder: die Kleinen stapeln sich übereinander im Kampf um den besten Platz. Flink sind sie und sehr gut gelaunt. Die Ringelschwänzchen wedeln vor Aufregung, es wird gegrunzt, im Heu gestöbert, über Geschwister hinweg geklettert.

 

Schweine gehören zu den intelligentesten Säugetieren. Sie lernen mehr Kommandos als Hunde und sie erkennen sich selbst im Spiegel: sie haben ein Ich-Bewusstsein. Sie wissen, dass sie existieren. Zwei von diesen klugen Tieren haben wir nun ausgesucht. In etwa 15 Monaten werden sie für uns sterben.

 

Ein durchschnittliches Schwein, das nicht auf einem Archehof wie Vockfey, sondern in der Intensivmast aufwächst, lebt ungefähr ein halbes Jahr und legt ein Kilo pro Tag zu. In diesen sechs Monaten sieht das Tier kein Tageslicht, es lebt auf kahlem Betonboden, der Schlitze enthält für Urin und Kot. Je schneller es geht und je weniger Aufwand es kostet, ein schlachtfertiges Schwein herzustellen, desto  effizienter ist die Produktion. Bei Tieren, die als Ware produziert werden, steht nun mal an erster Stelle die optimale, kostengünstige Herstellung des Produkts.

Ich esse kein Fleisch, weil mir dabei der Respekt vor dem Lebewesen fehlt, das uns sein Leben schenkt und damit satt macht. Käme der Mensch dem Schwein nicht in die Quere, würde es ein natürliches Alter von etwa zehn Jahren erreichen.

 

Auch Franks und Andreas Schweine leben also erheblich kürzer als sie könnten. Aber unsere Ferkel werden, bevor sie das Zeitliche segnen, die ersten Sonnenstrahlen auf der Nase spüren. Sie werden sich an heißen Tagen draußen im Matsch wälzen, Herbstlaub durchstöbern, sich im Heu aneinander kuscheln, wenn es kalt wird.  Frank und Andrea verhätscheln ihre Tiere nicht. Sie geben ihnen einfach ein gutes Schweineleben – und genauso stelle ich mir einen respektvollen Umgang mit Tieren in der Fleischproduktion vor. Reicht das, um mit gutem Gewissen unsere Ferkel zu essen?

 

Wie ich diese Frage für mich beantworten werde, weiß ich noch nicht. Aber gegessen werden sie in jedem Fall. Bevor sie auf dem Schlachtfest gegrillt werden, möchte ich das Leben dieser Tiere kennen lernen. Ich werde sie regelmäßig besuchen und darüber berichten. Und: die beiden haben einen Namen verdient. Sie sollen nicht als namenlose Mastschweine ihr Leben lassen. Allerdings dürfen uns die niedlichen Viecher auch nicht zu sehr ans Herz wachsen. Rudi kommt nicht in Frage, Babe schon gar nicht. Die beiden brauchen einen Namen, der  schon von vornherein etwas Verruchtes hat. Einen Hauch von Grill, sozusagen. So taufe ich nun unsere Dorfvereinsferkel feierlich: Schweinebacke I und Schweinebacke II.

 


Blog: Das Ende der Schweine

Juli 2017

Es ist das erste Schinkenbrot seit vielen Jahren. Schon der Geruch ist so intensiv, dass gleich mehrere Erinnerungs-areale in meinem Gehirn anspringen: stimmt, so riecht Fleisch, solchen Schinken gab es ständig in meiner ersten WG. Aber auch: Oh, wie damals bei meiner Oma. Ich sehe plötzlich meine Großmutter, wie sie sich Schinkenscheiben mit bloßen Fingern in den Mund stopft, anders kann man es nicht sagen. Sehr ungewöhnlich für eine feine Dame mit Lippenstift und gefärbtem Haar.

 

Es ist über ein Jahr her, dass ich Schweinebacke I und Schweinebacke II besucht habe. Das nächste Wiedersehen ist, nun ja, Scheibchenweise. Ich wollte die beiden ja aufwachsen sehen. Und ich wollte darüber schreiben. Und dann zu einem Entschluss kommen, ob ich sie essen will oder nicht. Und nun? Sind die Tiere tot, das Schlachtfest steht vor der Tür und aus meiner Schweinefreundschaft ist nichts geworden. Stattdessen liegt auf einem Teller vor mir nun mein erstes Schinkenbrot.

Die Wahrheit ist: die Entscheidung, ob ich dieses Fleisch essen möchte oder nicht, musste nicht reifen. Ich brauchte keine weiteren Besuche, kein weiteres Kennenlernen oder lange Nachdenkzeit. Ich habe gesehen, wie respektvoll mit dem Leben und dem Tod dieser Tiere umgegangen wird.

Mir kam es scheinheilig vor, so zu tun, als müsste ich lange darüber nachdenken oder könnte diese Entscheidung nur fällen, wenn ich die Schweine öfter besuche. Mir war sehr bald nach dem ersten Besuch klar, dass ich dieses Fleisch auf jeden Fall essen möchte. Und ich möchte jeden Bissen genießen. Genauso sieht für mich ein verantwortungsvoller Umgang mit unserer Lebensmittelproduktion aus. Dafür brauche ich keine persönliche Beziehung zu Schweine-backe I & Schweinebacke II.

 

Eine industrielle Produktion von Fleisch, die auf Gewinn aus ist, lehne ich ab. Aber Menschen ernähren sich seit Jahrtausenden von Fleisch. Solange das geschieht mit Respekt vor dem Leben, das wir dabei nehmen, ist es für mich in Ordnung.  

 

Also beiße ich hinein ist das duftende Schinkenbrot. Mir ist egal, ob diese Scheibe Schinken von Schweinebacke I oder Schweinebacke II stammt. Ich weiß, dass sie kluge Tiere waren, wahrscheinlich hätten sie gern länger gelebt.

 

Aber sie schmecken köstlich. Danke, Ihr Schweine. Ich freue mich schon auf Eure Grillwurst.

 


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Kommentare: 6
  • #1

    Marieke (Donnerstag, 24 März 2016 15:16)

    Das hast du richtig schön geschrieben! :) Oh man, die Kleinen sind ja so niedlich... Ich würde mich freuen, wenn du mich mal zu Schweinebacke I und Schweinebacke II mitnimmst ;)

  • #2

    Tamar (Mittwoch, 06 April 2016 14:34)

    Liebe Marieke, vielen Dank! Klar, nächstes Mal kommst Du mit zu unseren Schweinebäckchen ;-)!

  • #3

    Ahri (Samstag, 06 August 2016 13:22)

    Liebe Tamar,

    die Bilder sind Dir sehr gut gelungen. würde mich über einen Austausch unter

    danquez@gmx.de

    freuen!

    Alles Gute, Ahri

  • #4

    Bärbel Ritlewski (Montag, 18 Dezember 2017 02:03)

    Hat man denn die Mitglieder im Dorfverein mal befragt, wie das Projekt "Schweinebacke"
    angekommen ist???
    Wird das wiederholt?

  • #5

    Angelika Hoffnmann (Sonntag, 13 Februar 2022 17:58)

    Liebe Tamar,
    habe erst jetzt von Deinem damaligen Projekt "Schweinebacke I und II) gelesen und möchte Dich und Euch einfach mal einladen, auch andere Arche-Höfe auf beiden Seiten der Elbe zu besuchen (auf Voranmeldung). Die Tiere der alten Haustierrassen leben weitgehend frei und unbeschwert. Dadurch erhöht sich auch der Artenreichtum auf den Wiesen und Weiden. Der Erhalt der alten Rassen dient dem Erhalt der Gene. Am Ende werden sie meist geschlachtet oder in der Zucht eingesetzt. Hier https://www.arche-region-elbe.de Du mehr, und in Neuhaus lädt das Archezentrum zu einem kostenlosen Besuch ein.
    Viele Grüße aus dem Elbdorf Bitter in Amt Neuhaus

  • #6

    Holger Menzel (Mittwoch, 25 Januar 2023 16:50)

    Hallo Frau Baumgarten,
    uns Menschen wurde von der Evulotion ein Raubtiergebiss zugedacht. Das war in der Urzeit der Menschen auch dringend notwendig. Zugegeben ist das heute nicht mehr bei allen gut zu erkennen. Unser Gebiss hat sich "entschärft", der genetische Code in unseren Gehirnen ist allerdings beim Raubtier geblieben. Also essen viele Menschen gewohnheitsmäßig auch (zu-)viel Fleisch von inteligenten Tieren. Darüber kann man sehr gut neu nachdenken. Sie haben es mit Ihrem Blog getan. Das ist richtig so. Jede Auseinandersetzung mit dem Thema könnte dann im Bewusstsein darum eine Fleischmahlzeit einsparen. Für die Tiere, für unsere eigene Gesundheit und für unsere Umwelt.
    Holger Menzel, Bleckede Stadt